Bevor man in die Tiefe dieses Buches einsteigt, also sich von dem seltsamsten Vogel, der im französischen Polizeiwesen auf seine eigene ursubtile Weise zum Einsatz kommt, gefangen nehmen lässt, muss man sich zuerst einmal mit einer Reihe von Verwandten und Freunden des Commissaire vertraut machen. Ohne einen solchen Clan geht nichts bei dem gebürtigen Sizilianer, der es aus kleinen Verhältnissen bis in die oberste Liga der Ermittler bei der Pariser Gendarmerie geschafft hat. Deshalb macht es Sinn sich die entsprechende Namensliste nebst Funktionstitel vorab einmal im Buch anzuschauen. Sie bilden ja den Vorspann. Sie erleichtern aber auch beim Lesen die Zusammenhänge und dokumentieren, dass notre commissaire kein Ermittler von Eierdieben ist, sondern dass es sich bei ihm immer um das besondere Verbrechen handelt. Wer glaubt, dies sei aber etwas gewöhnungsbedürftig, dem sei gesagt, dass man sich sehr schnell an die Fülle von “Hohen Tieren“ mit klangvollen Titeln beim Lesen gewöhnt und man bemerkt sogleich, dass die Franzosen ebenso gerne hierarchisch denken wie ihre östlichen Nachbarn, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.
Alles dieses ficht unseren Carlucci natürlich nicht an. Titel und Dienstgrade kümmern ihn einen Dreck. Bei ihm zählen Charakter und Herz, möglichst auf dem rechten Fleck und natürlich die Geselligkeit, am liebsten im Kreise seiner Freunde und Familie, die bei ihm eine Einheit bilden. Deshalb verwundert es auch nicht, dass seine engsten Mitarbeiter auch seine besten Freunde sind, selbst dann, wenn die beruflichen Wege sich einmal getrennt haben. Einmal Freund immer Freund, dass ist sein Credo und auch dieses Mal liegt er goldrichtig mit seiner Einstellung. Seine Freunde beweisen es ihm und kommen ihm zu Hilfe ohne große Fragen zu stellen. Vertrauen ist die Basis aller Freundschaft.
Nachdem jetzt das Grundsätzliche geklärt ist, die Herangehensweise an diesen emotionsgeladenen und politisch abgefuckten Krimi hinreichend erläutert wurde, nähern wir uns den eigentlichen Geschehnissen.
„Monsieur le commissaire“ steht vor einem Rätsel, dass sich ihm, dem jahrgangsbesten Absolventen von der Offiziersakademie der Police Nationale in Saint Cyr letztlich nicht erschließt, da sich mit dem ermittelten Täter nach dem wohl größten Banküberfall in der Geschichte Frankreichs eine Menge Ungereimtheiten ergeben, da auch die hohe Politik auf den Plan tritt, und damit auch seine Unangepasstheit ihm jetzt zum Verhängnis zu werden scheint. Alle Kriecher und Schleimer, denen er in den Jahren , in denen er im begehrtesten Polizeirevier Frankreichs, Nummero 36 Quai des Orfevres in Paris, wo er seinen Dienst versehen hat, begegnet ist, und so manchem von ihnen dort unmissverständlich gezeigt hat, in welchem Loch er eigentlich besser verschwinden sollte, glaubten jetzt der Tag der Abrechnung sei gekommen.
Carlucci strauchelt, aber er fällt nicht, nicht zuletzt dank seiner guten Freunde und dank seiner gesamten Familie. Das Schicksal in Form seiner wohlmeinenden Vorgesetzten hat ein Einsehen mit dem Verzweifelten. Sie verfrachten ihn an die Cote d´Azur nach Antibes, dem richtigen Ort, wo selbst die geschundenste Seele Linderung erfährt. Hier übernimmt er die Leitung des Kommissariats mit der Zuständigkeit für den malerischen Ort mit seinem spektakulären Yachthafen, mit dem benachbarten mondänen Cap nebst seinem weit hin sichtbaren Leuchtturm und der alten Seefahrerkapelle. Aber auch das pittoreske Biot mit seiner traditionellen Töpferkunst gehört zu seinem Dienstbereich.
In Paris noch ein menschliches Wrack wirken die Kräfte, die von dieser mediterranen Landschaft und ihren Menschen ausgehen, wie ein unwiderstehliches Elixier auf den Ausgebrannten. Nirgendwo in Frankreich verstehen die Menschen die Philosophie des „ savoir vivre“ so zu leben, wie hier an der „Cote“. Dies hinterlässt auch eindeutige Spuren bei Carlucci und seine Regeneration geht zügig voran. Dem Licht, der Kultur und der menschlichen Wärme und Freundlichkeit der Einheimischen kann er sich nicht entziehen und schon bald ist er einer von ihnen, zumal er braungebrannt und äußerst leger gekleidet daher kommt, ganz wie es vor Ort ein nicht ausgesprochenes Muss ist, und was mit dem alten Carlucci so gar nichts gemein hat. Selbst seine Dienstauffassung ist ein einziges „Laissez-faire“. Die plats de fruits de mer und der köstliche Rosé der Domain Ott tun ihr Übriges. Sie wirken geradezu wie natürliches Viagra auf die Lebenslust und die Libido des alten Haudegens. Liebhaber der Cote d´Azur wissen, wovon ich spreche, denn dieser gesegnete Landstrich im Süden Frankreichs war immer schon, seit den Zeiten der Römer bis heute das Land für Erholung und Müßiggang.
Aber wie es im Leben einmal so ist, die Vergangenheit holt den Menschen zweifellos immer wieder ein und dies ist auch bei Carlucci nicht anders. Eine Anzahl von scheinbar unspektakulären Selbstmorden, wie sie nach wirtschaftlichem Totalverlust immer wieder vorkommen, haben die Gemüter an den verschiedenen Orten entlang der Mittelmeerküste nicht besonders erregt. Millionäre kommen und gehen und manchmal setzen sie ihrem Leben ein Ende, zumal wenn sie auf zu großem Fuß gelebt haben und der Rückfall in die Bedeutungslosigkeit für sie nicht wirklich eine Option ist.
„Monsieur le commissaire“ hat zwar sein Leben verändert, seinen Spürsinn, seine Nase für das Verbrechen hat er aber dadurch nicht verloren. Sofort ist er hellwach. Sein messerscharfer Verstand sagt ihm, dass alle diese Selbstmorde nicht zufällig passiert sind und wieder einmal kommt Carlucci so richtig in Fahrt. Dabei ist es ihm gleich, ob seine Aktionen noch von dem Gesetz gedeckt sind, ob Zuständigkeiten verletzt werden oder ob gar die internationale Politik in Misskredit gerät. Kompromisslos verfolgt er jede sich bietende Spur, sei es in Frankreich oder auch in jedem anderen Land. Hier zeigt sich, wie wertvoll sein früher geknüpftes Netzwerk ist, welche Möglichkeiten sich ihm auch jetzt noch bieten, um selbst die geheimsten Strukturen zu durchbrechen. Nur so gelingt es ihm an die vermeintlich Unantastbaren heran zu kommen, um ihnen mit weitaus härterer Münze das heim zu zahlen, was sie mit ihm geplant hatten, nämlich Vernichtung.
Der Autor Monsieur Rainer wäre nicht mit seinem Werk zufrieden, wenn er seinem Protagonisten nicht auch ein paar romantische Sequenzen in seine Erlebenswelt geschrieben hätte. Und er hat gut daran getan, denn die warme Atmosphäre des Südens verlangt geradezu nach knisternder sexueller Spannung, erst Recht wenn eine junge, attraktive Kollegin sich nichts mehr wünscht, als in die Gefühlswelt dieses Alphatieres ein zu tauchen, um die besondere Körperlichkeit auszuleben, die sie sich nur mit diesem Mann vorstellen kann.
Mehr ist zu diesem Werk eigentlich nicht zu sagen, als unter dem Strich festzustellen, dass der Autor sein Handwerk bestens versteht, was dadurch bewiesen wird, dass man das Buch, einmal angefangen, nicht mehr loslassen kann und man am Ende wissen will, was wohl Carlucci demnächst umtreibt.
Ach ja, vielleicht noch eins, Monsieur Rainer ist bekannt dafür, dass seine Bücher immer auf wahren Ereignissen beruhen, so auch hier, wo der oben erwähnte Banküberfall tatsächlich stattgefunden hat, aber nie aufgeklärt worden ist, warum auch immer.
Voll umfänglich empfehlenswert.
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