Bei seinem neuesten Krimi "EIS" ist es Günter v. Lonski zweifellos schwer gefallen, seine Ironie zu zügeln, seine humoreske Art im Zaum zu halten, die wir bei seinem letzten Buch "Bittere Medizin" so schätzen lernen durften. Mit dem Wechsel des Schauplatzes vom Weserbergland in die Stadt Hannover hat sich zwar nicht das Genre "Krimi aus der Region" verändert, aber entschieden doch die psychologische Plattform, auf der die beiden Hauptprotagonisten agieren.
War der Radiojournalist Wesemann zuvor mit einer lockeren, eher entspannten Art an die Aufklärung der Verbrechen herangegangen, so tendiert die Kriminalkommissarin Marike Kalenberger jetzt gegen den psychologischen Nullpunkt, immer scharf am Drama eines Totalabsturzes entlang. Auslöser dieser tiefen Depression sind zum einen die niederschmetternden Erfahrungen in ihrem trostlosen Job bei der Polizei, weitaus mehr ist sie jedoch gebeutelt durch die fast tödlichen Folgen einer Schießerei am Steintor im Rotlichtviertel von Hannover.
Soeben hat es der Chirurg geschafft nach einem Bauchschuss, sie unter den Lebenden zu halten und sie zusammen zu flicken, eine nicht ganz einfache Aufgabe. Eine mehrmonatige Genesungszeit hat sie körperlich wieder aufgerichtet, na ja vielleicht nicht ganz.
Ihre Psyche allerdings liegt weiterhin am Boden danieder. Sie hat Angst, elende Angst vor allem und jedem, da konnte ihr auch die Psychotherapeutin so gut wie gar nicht aufhelfen. Nach einem halben Jahr zusammen mit ihrem dreibeinigen Kater Toto im arbeitslosen Nichtstun fand sie, es müsse jetzt doch endlich wieder einmal weitergehen, außerdem vermisste sie ihre Kollegen, ihr früherer Familienersatz. Zudem wollte sie wissen, wie sich der junge Kommissar erholt, der bei der Schießerei am Steintor ebenfalls angeschossen wurde.
Die Tatsache, dass die Mannschaft im Präsidium sie nach ihrer Rückkehr sichtlich schnitt, war ihr auf Anhieb ein unerklärliches Rätsel, dabei hätte sie sich so auf eine warmherzige Begrüßung gefreut. Sie konnte sich auf dieses ablehnende Verhalten keinen Reim machen, bis ihr gesteckt wurde: der junge Kollege hatte lauthals herausposaunt, sie hätte ihm beim Schusswechsel keine Rückendeckung gegeben, der einzige Grund, warum er die schwere Schussverletzung hatte hinnehmen müssen. Mit dieser bösen Verleumdung konfrontiert, zog es ihr erneut den Boden unter den Füßen weg. Jeglicher Versuch die psychische Balance zurück zu gewinnen war dahin, da ja sie es war, die den jungen Draufgänger immer wieder zurückhielt, um in Deckung zu bleiben. Er aber wollte den Helden spielen, sich als Rambopolizist profilieren.
Dies war der einzige Grund, warum sie ihre Deckung verlassen hatte, sie musste ihm unbedingt helfen. Am Ende waren sie beide durch Schüsse niedergestreckt worden.
Keine Minute länger konnte sie im Polizeipräsidium bleiben. Sie musste raus hier, bevor die emporkriechende Angst ihr den letzten Atem nahm. Sie musste zurück an den einzigen Zufluchtsort, an dem sie der Depression trotzen konnte, sie zumindest aushielt. So war sie zu Hause unter ihre Decke auf der Wohnzimmercouch gekrochen und hatte sich in Träume geflüchtet, die aber auch nur fortwährend die Ereignisse am Steintorplatz reproduzierten.
Ganz in der Ferne vernahm sie das Klingeln ihres Handys, Töne aus einer anderen Welt.
Soeben konnte sie noch die Stimme ihrer Stieftochter identifizieren, mit ihrer eindringlichen Bitte um Hilfe konnte sie jedoch nichts anfangen. Aylin, die Tochter ihres verstorbenen Mannes ließ eher selten von sich hören, zu sehr war sie als jugendliche Schülerin damit beschäftigt die Nächte mit Partys zu verbringen, den Jungs die Köpfe zu verdrehen. Telefonate waren nur dann angesagt, wenn sie zu klamm war, um sich neue ausgefallene Klamotten für den nächsten Eventmarathon zuzulegen. Diesmal ging es jedoch um etwas Anderes.
Pia ihre Mitschülerin und in erster Linie beste Freundin war verschwunden. Nach einem durchfeierten Wochenende war sie nicht mehr zurück gekehrt, hatte sich auch nicht per Phone oder SMS gemeldet, nirgendwo. Dieses Verhalten war ungewöhnlich, denn nach eins, zwei Nächten, nachdem die erste heiße Phase mit einer neuen Eroberung verflogen war, musste sie alles mit ihrer Intimfreundin bequatschen, so lief das normalerweise. Jetzt aber wochenlang kein Lebenszeichen.
Günter v. Lonski hat in dem vorliegenden Buch ein Thema in seinen Kriminalroman eingepackt, das nicht täglich in der Rubrik neueste Kriminalfälle zu lesen ist, da diese normalerweise in der Verbrechenskartei der Freiheitsberaubung, Zwangsprostitution, Menschenhandel oder gar Mord zugeordnet werden. Im Zusammenhang mit der Verschleppung von Hunderttausenden von osteuropäischen, jungen Frauen, die in Westeuropa oder am Persischen Golf unter menschenverachtenden Bedingungen zur Prostitution gezwungen werden, hören wir fast täglich in den Medien. Über die Tatsache, dass junge, gar jüngste Schülerinnen im Alter ab 12 oder 13 durch sogenannte "Loverboys" zur käuflichen Liebe verführt und gezwungen werden, hört man so gut wie nichts. Dabei nutzen junge Männer die erste Liebessehnsucht dieser blutjungen Mädchen aus, um sie durch allerlei Versprechen zum Sex mit anderen Männern zu bewegen, natürlich gegen entsprechendes Bares, das sie dann in ihren aufwendigen Lebenswandel investieren, ein schmutziges Millionengeschäft, in dem es nicht zimperlich zugeht.
Dem Autor ist es ein Anliegen diese widerlichen Erscheinungsformen von Zwangsprostitution in das Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Klugerweise hat er dazu die Form des Kriminalromans gewählt, denn damit hat Günter v. Lonski sehr schnell eine große Schar von interessierten Lesern auf seiner Seite, die über das faktische Spannungserleben hinaus sich auch mit der Thematik dahinter befassen können, so die große Hoffnung des Autors, frei nach dem Motto spannende, unterhaltsame Lektüre ja, aber immer auch verbunden mit Nachdenkenswertem. Dabei wirkt das sichtliche Schwächeln seiner Kommissarin alles andere als negativ auf den Geschehensablauf. Ständig hat man beim Lesen das Gefühl, Marike Kalenberger packt es nicht mehr, jetzt ist sie am Ende, wirklich ein besonderer Einfall der Dramaturgie.
Es müssen nicht immer die strahlenden Helden sein, die uns beim Lesen von hochinteressanten Geschichten fesseln, gebrochene Persönlichkeiten können dies oftmals besser. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Autor am Werk ist der sein Metier beherrscht. Dies ist bei Günter v. Lonski eindeutig der Fall. Er hat bewiesen, dass er in völlig unterschiedlichen Erzählformen seine Leser mitnehmen und fesseln kann. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob im Weserbergland oder in Hannover, einem guten Autor wie Günter v. Lonski fallen selbst bei einer identischen Location zwei total unterschiedliche Kriminalgeschichten ein, immer mitreißend und kurzweilig, und man kommt nicht auf die Idee, dass trotzdem beide aus einer Feder, pardon einem Laptop stammen.
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